Appearances are not deceptive

Der Schein trügt nicht

Bettina Stimeder, Rondo Magazine, 25 June 2010

Die englische Künstlerin Justine Smith macht aus Geld Kunst – buchstäblich. Geldscheine aller Währungen werden zu Skulpturen, die auf ganz neue Art den Kreislauf des Geldes beschreiben.

Papier ist nur Papier. Nicht, wenn es von einer Nationalbank gedruckt, gebündelt und in Umlauf gebracht wird. Dann hat es Bedeutung, Macht und Kraft. Gestaltungsmacht einerseits, Sprengkraft andererseits. Dieses Potenzial, gebunden in papierener Fadenscheinigkeit, fasziniert die englische Künstlerin Justine Smith. Geldscheine und Münzen, die Kalorien, die in der Nahrungskette des Finanzsystems verstoffwechselt werden, hat sie zu ihrem Rohmaterial erkoren. Es inspiriert sie zu Collagen und Skulpturen. Justine Smith hat eine ganz eigene Lust am Geld und am Nachdenken über Geld. Sie nimmt die Scheine als Symbole und be- schreibt die Veränderungen der geopolitischen Situation. Sie kommentiert die Sprengkraft des Geldes, indem sie Dollar- noten zu einer Handgranate oder einem Colt formt. Sie montiert Scheine der alten europäischen Währungen in die jeweiligen Länder auf der Europa-Karte und führt uns die alte Ordnung noch einmal vor Augen, um uns mit einer weiteren Collage „Euro Europe“ zu zeigen.

Die Geld-Landkarte des Alten Europa in Gegenüberstellung zur Eurozone dokumentiert den ungeheuren Wechsel, der mit der Umstellung auf den Euro vollzogen wurde und dessen Dimension im Wirtschaftsalltag nicht mehr präsent ist. In feiner, zurückhaltender Machart stellt sie uns entlegene Weltgegenden vor. Orchideenartige Blumenskulpturen etwa aus der Währung Turkmenistans werden unter einen Glassturz gestellt und machen die Distanz auf der geistigen Landkarte fühlbar.

In ihrer neuesten Arbeit wendet sich Justine Smith dem größten Paradigmenwechsel auf dem Planeten zu: dem Aufstieg Chinas, des kommunistisch-kapitaistischen Paradoxons, wie sie es nennt, und dem Schwächerwerden des westlich-kapitalistischen Systems. „Aufstieg und Fall“ nennt sie

die Installation. Zwei Kirsch- bäume führen uns den unver- meidlichen Kreislauf von Wachsen und Vergehen vor. Der erste, ein bronzener Herbst- baum, hat seine Blätter in Gestalt von US-Dollars abgeworfen und steht einsam und ruhend. Seine „Blätter“ liegen ringsherum auf dem Boden und geben den Blick auf eine kleine, aber stramme Kolonie goldener Pilze frei.

Der zweite Baum, versilbert und in voller Blüte chinesischer Banknoten, ist von Wänden, ähnlich einer Schachtel ohne Deckel umgeben, deren Innenwände versilbert sind und durch diese Spiegelung die Illusion eines endlosen Waldes erzeugen. Es geht hier um Natur als Kapital, ein Konzept, nach dem all unsere Ressour- cen, unser gesamter Reichtum aus der Erde kommt, aus dem Ökosystem, das uns erhält. So wie in einem Ökosystem ein Schaden einen weiteren bedingt, so bleibt auch im Finanzsystem eine Krise nicht allein. Justine Smith bewertet damit die Theorien vom „Ende der Geschichte“ und von der angeblichen Macht eines Systems, sich über die Prinzipien der Natur hinwegzusetzen, als Illusion und den Glauben an das stetige Wachstum als Irrtum.

Aber schon im blühenden Baum mit seinen chinesischen Währungsblüten steckt Anfang und Ende. Die Blüte vergeht. Und gerade wenn sie sich am schönsten entfaltet und am verführerischsten duftet, ist ihr Ende nah. Die Umrahmung des blühenden Waldes soll in zwei Richtungen wirken. Als Umrahmung des Reichtums ist sie nach innen beschützend, nach außen abweisend. Innen liegt die neue Kraft, der neue Reichtum, der den Rest der Welt zu bloßen Konsumenten degradiert und damit in die wirtschaftliche und politische Passivität verweist. China, die „Werkstatt der Welt“, die den Westen mit ihren Produkten versorgt und damit die Handlungsmacht an sich zieht.

Die zwei Skulpturen stehen unabhängig voneinander. Justine Smith setzt sie durch die Beziehung zwischen gefallenem Dollar und blühendem Jiao in dieselbe Umlaufbahn und zeichnet damit eine Wirtschaftsgrafik anderer Art. Mögen Zahlen trügen, der Schein nicht.

PDF version available here